Guten Morgen meine Lieben! Heute melde ich mich zu früher Stunde mit einem ganz besonderen Beitrag. Ihr erinnert euch vielleicht an meine Rezension zu dem Buch "Essstörungen - Was ist das?". Die Autorin dieses Buches, Michaela Schubert, durfte ich interviewen. Ich habe ihr Fragen zu ihrem Buch und ihren Avataren, aber auch zu Essstörungen ganz allgemein stellen können. Das Thema ist ebenso interessant, wie schockierend.
Du wünschst dir einen offeneren Umfang mit dem Thema
Essstörungen in der Gesellschaft, was heisst das konkret, und wie können wir
dazu beitragen?
Ein offener Umgang heißt für mich konkret, dass mehr über
die Hintergründe von Essstörungen gesprochen wird. Damit meine ich nicht die
Debatten über die Schönheits- und Schlankheitsideale. Sondern dass im Vorfeld
über mögliche Entstehungsgründe, die daraus resultierenden Folgen und auch über
Lösungsstrategien diverser Probleme gesprochen wird. Auch wenn keine Essstörung
mit am Tisch sitzt. Fakt ist: Essstörungen sind auf dem Vormarsch und
Essstörungen gehen jeden etwas an.
Noch immer scheint das Thema für viele ein großes Tabu zu sein, über das lieber ausgiebig geschwiegen als offensiv gesprochen wird. Im Nachgang ist das Geschrei immer am größten. Aber zuvor will sich kaum einer damit beschäftigen. Die teilweise einseitige und lückenhafte Berichterstattung der Medien begünstigen eine realitätsabweichende Sichtweise. Ziel sollte sein, Essstörungen stets einen Schritt voraus zu sein und nicht, wie aktuell, umgekehrt.
Nicht selten verheimlichen ganze Familien eine solche
Erkrankung. Vorurteile tun ihr Übriges dazu. Essstörungen sind nicht
nachvollziehbar, denn Essen gehört zum Leben dazu wie das Atmen.
Jeder weiß durch öffentliche Darstellungen und
unterschiedlichste Suchtpräventionen, dass u.a. das Rauchen
gesundheitsschädlich ist. Essstörungen sind im gleichen Maße
gesundheitsschädlich, aber gesprochen wird darüber wenig. Meines Erachtens
gehört das Thema genauso in den Unterricht, wie die herkömmliche
Suchtprävention, denn Essstörungen gehören zu den stoffungebundenen Süchten.
Ein offener Umgang mit Essstörungen bedarf einerseits großen
Mut, denn dahinter verbirgt sich eine riesige Scham. Anderseits ist eine
vorurteils- und wertungsfreie Ebene der Gesellschaft notwendig, um die
Erkrankung als das zu sehen, was sie ist – eine Gefahr, die schlimmstenfalls
zum Tode führt.
Egal was im Leben passiert, Essstörungen sind nie eine
Lösung. Ich möchte erreichen, dass sich die Zeit genommen wird, hinter die
Kulissen zu schauen und natürlich auch zum Hinterfragen anregen. Warum macht
jemand eine Diät? Warum definieren sich viele über einen schlanken Körper?
Warum muss immer alles makellos und perfekt erscheinen? Warum darf ich nicht so
sein, wie ich bin?
Es kommt hinzu, dass oftmals übereinander- anstatt
miteinander geredet wird.
Hast du für deine direkte Art mit dem Thema umzugehen
auch schon Kritik erfahren?
Nein, im Gegenteil. Meine bisherigen Erfahrungen sind bis
dato positiv. Ich finde es wichtig, die essgestörte Dinge unverblümt beim Namen
zu nennen. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen, die ich immer mit
einfließen lasse, bekommt meine direkte Art ein anderes Bild. Ich bin
authentisch und genau das kommt vor allem in meinen Vorträgen richtig gut an.
Was hat dich dazu bewogen das Buch «Essstörungen – Was
ist das?» zu schreiben?
Ich selbst war viele Jahre in dem Strudel der Essstörung
gefangen. Von dem her kenne ich viele Facetten, die eine Essstörung ausmachen.
In meiner aktiven essgestörten Zeit las ich etliche Biografien über Frauen, die
den gleichen Kampf ausfochten wie ich. Auch im späteren Verlauf sog ich
sämtliche Medien rund um das Thema förmlich auf. Oftmals war mir das alles zu
„lieb“ formuliert und rutschte an meiner essgestörten Realität gänzlich vorbei.
Ich suchte nach direkten Fakten, die von persönlichen Erfahrungen untermauert
werden.
Die Grenzen zwischen den einzelnen Essstörungen verlaufen
fließend. So war es bei mir. Jedoch empfand ich die medialen
Berichterstattungen überwiegend als zu einseitig. Immer nur Magersucht oder
Ess-Brech-Sucht oder Essanfallstörung, um bei den 3 großen Formen zu bleiben.
Aber was ist, wenn ich von jedem etwas habe?
Angetrieben von meinem eigenen Wunsch alle 3 Essstörungen
unter einen Hut zu bekommen, kristallisierte sich zuerst einer ABC-Blogserie
heraus. Nachdem ich mit dem Alphabet durch war, konnte ich nicht einfach so
aufhören. Da ich schon immer ein richtiges Buch schreiben wollte, nahm ich
meine bisherigen Blogartikel nochmal zur Hand und arbeitete diese letztendlich
in ein Buch-Manuskript um. Ich hatte und habe nichts zu verlieren.
Wie hast du dich während des Schreibens gefühlt? Gab es
auch Dinge, die für dich schwierig waren?
Während des gesamten Schreibens fühlte ich mich gut. Ich
liebe das Schreiben, seit ich schreiben kann. Für mich war es eine Reise in
meine Vergangenheit der etwas anderen Art. Manche Erinnerungen wühlten mich
teilweise ganz schön auf. Aber das schreckte mich nicht ab. Im Gegenteil, durch
das Aufschreiben gelang es mir in meiner hart erarbeiteten Spur zu bleiben. Ich
hatte auch nie das Gefühl, dass ich mit dem Thema oder gar mit meinen
Erlebnissen überfordert bin. Alles in allem war es für mich eine sehr intensive
und spannende Zeit, von der ich noch heute profitiere.
Wieso ist es für Betroffene so beängstigend, sich Hilfe
zu holen?
Ich kann nicht für alle sprechen. Gründe dafür gibt es
viele. Manche Betroffene glauben in erster Linie, sie schaffen es allein aus
dem Kreislauf heraus, wenn sie sich ihr Problem mit dem Essen eingestanden
haben. Ein Großteil hat zusätzlich extreme Angst, mit ihrer persönlichen Last
von Ärzten, Familie etc. nicht ernst genommen zu werden.
Eine Magersucht lässt sich lange kaschieren. Auch eine
Bulimie und Essanfallstörung fällt nicht sofort auf. Aber, bei einer Anorexia
nervosa wird das Problem irgendwann durch (massives) Untergewicht für andere
sichtbar. Jedoch sehen sich Betroffene nicht mit den Augen der anderen, sondern
sie empfinden sich (trotz Untergewicht) als zu fett. Deshalb ist oftmals der
erste Gedanke: „Es glaubt mir doch eh keiner, dass ich ein Problem mit dem
Essen habe.“
Das Umfeld deiner Avatare bekommt nichts mit von den
Essstörungen von Rexi, Limi und Eati mit. Für mich ist es gar nicht so leicht,
mir vorzustellen, dass einem ein essgestörtes Verhalten nicht auffällt. Wenn
das Umfeld nicht reagiert, liegt das daran, dass sie es tatsächlich nicht
mitbekommen oder es nicht bemerken wollen?
Wie bei der oberen Frage bereits erwähnt: Eine Magersucht,
Bulimie und Essanfallstörung fallen nicht sofort auf. Es gibt für jede
kulinarische Gelegenheit und für jede gemeinsame Mahlzeit eine passende
Ausrede, um nicht essen zu müssen, um ein Essen vorzutäuschen oder, oder,
oder... Das soziale Umfeld bekommt eine Essstörung meist erst dann mit, wenn
das Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen ist. D.h. beispielsweise,
wenn er/sie bereits sehr viel an Gewicht verloren hat oder ständig Lebensmittel
aus dem Vorratsschrank fehlen.
Eine Essstörung wird anfangs wirklich nicht bemerkt. Das ist
kein Vorwurf. Natürlich kann ich nicht für jedes Umfeld sprechen. Manche
erkennen schon erste Anzeichen, lassen sich aber durch die Erklärungen der
betroffenen Person gern täuschen. Keiner vermutet hinter plausiblen Ausreden
sofort eine Essstörung. Das wäre auch fatal.
Ich unterstelle keinem, dass die ersten eindeutigen Hinweise
mutwillig ignoriert wurden. Ein Großteil weiß doch gar nicht, wie sich diese
äußern. In meisten Fällen spielt Hilflosigkeit eine ausschlaggebende Rolle.
Aggressionen und Missverständnisse erschweren vor allem für Eltern die
schwerwiegende Situation.
Bitte Vorsicht: Ein essgestörtes Verhalten hat nichts mit
einer Essstörung zu tun. Nicht jeder der eine Diät (Bsp. für ein essgestörtes
Verhalten) macht, rutscht in eine Essstörung. Aber jede Essstörung beginnt mit
einer Diät.
Heutzutage sind unterschiedlichste Ernährungsmuster im
Trend. Jeder gönnt sich einen anderen Ernährungsstil. Der bewusste Verzicht auf
Zucker, Kohlenhydrate, Fleisch etc. grenzt stellenweise an eine Manie. Jedes
Alter hat Zugang zu Nahrungsergänzungs- und Diätmitteln. Ein perfekter
Nährboden für eine Essstörung.
Rexi gesteht sich erst sehr spät ein, dass sie
tatsächlich an Magersucht leidet. Hat sie ihre Sucht nicht bemerkt, also sie
glaubt daran, dass an ihrem Verhalten nichts falsch ist oder ist auch das
etwas, was man sich nicht eingestehen will?
Keiner entscheidet sich bewusst für eine Essstörung.
Betroffene einer Essstörung rutschen ganz langsam in ihre individuelle Sucht
hinein. Anfangs bemerkt keiner die Veränderung, auch nicht die betroffene
Person. Irgendwann gesteht man sich selbst ein, dass man ein Problem mit dem
Essen hat. Das dauert mal länger, mal kürzer. Jeder hat seinen eigenen
Rhythmus. Auch wenn Betroffene sich über ihre Sucht im Klaren sind, heißt es
nicht automatisch, dass sie öffentlich dazu stehen.
Mit der Zeit wird ihnen bewusst, dass ihr Essverhalten nicht
gesund ist bzw. nicht „normal“ sein kann, aber sie können es nicht „einfach“
ändern. Das Wissen, dass ihr Essverhalten in die falsche Richtung abdriftet,
kann eine Essstörung noch verstärken. Der eigene Druck und unzählige
Selbstvorwürfe sind sehr dominant. „Nicht mal das Essen bekomme ich auf die
Reihe!“
Essstörungen sind Süchte, in denen nichts einfach mal so
nebenbei weg geht.
Worauf muss man besonders achten, wenn man in seinem
Umfeld eine Essstörung vermutet?
Essstörungen haben viele Gesichter. Es gibt nicht die
eine Ursache und auch nicht die glasklaren Anzeichen, denn das meiste
verläuft im Verborgenen. Bei jedem kann sich eine Essstörung anders zeigen und
kann anders verlaufen.
Wenn das Umfeld eine Essstörung vermutet, ist die oberste
Priorität: Ruhe bewahren! Danach hilft es, sich über die verschiedensten
Essstörungen zu informieren und im Anschluss - unter vier Augen - das Gespräch
mit der betroffenen Person zu suchen. Bitte nie direkt auf die Vermutung
ansprechen: „Hast du Magersucht?“ Eine solche Aussage gleicht einem Schlag ins
Gesicht. Die Leugnung der eventuellen Erkrankung liegt auf der Hand.
Deutlich behutsamer ist, in der Ich-Form das Bemerkte
anzusprechen: „Ich habe das Gefühl, dass du in letzter Zeit viel an Gewicht
verloren hast. Kann ich dir irgendwie helfen?“
Eine Essstörung kann nie mit Essen therapiert werden. Hinter
einer Essstörung stecken immer tiefgreifende Schwierigkeiten, die sich
lediglich durch das Hungern, (Fr)Essen und Rückgängigmachen zeigen. Mit der
Essstörung wird sozusagen versucht, sein schmerzliches Problem zu ver- bzw. zu
bearbeiten.
Auch nach einer Therapie sind Essstörungen nicht einfach
verschwunden. Deshalb ist es ganz sehr wichtig, dass Betroffene nicht
ausschließlich auf ihre Essstörung reduziert werden. Geduld und ein offenes Ohr
für vorherrschenden Sorgen können auf den Weg heraushelfen. Fakt ist,
Essgestörte sind von etwas abhängig, was uns am Leben erhält und sind somit
jeden Tag aufs Neue mit ihrem Suchtmittel konfrontiert.
Miteinander Reden und genau hinhören, ist für Betroffene und
deren Angehörige Gold wert. Es geht nicht darum die perfide Essstörung zu
verstehen. Es geht in erster Linie darum, den Menschen dahinter ernst zu
nehmen.
Wenn ihr mehr über die Autorin, Essstörungen und ihr Buch erfahren wollt, dann schaut auf ihrer Website vorbei. (https://www.happy-kalorie.de/)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten erhoben. Diese Daten werden ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen finden Sie in der Datenschutzerklärung. Mit dem Abschicken eines Kommentars wird die Datenschutzerklärung akzeptiert.